Um das volle Potenzial der Automatisierung in einer Fertigungsumgebung auszuschöpfen, muss die Kommunikation und Interaktion zwischen allen Informationssystemen ermöglicht werden. Eine verteilte Kommunikationsebene dient dabei als digitales Grundgerüst (Digital Backbone) einer skalierbaren Fertigungsautomatisierung, insbesondere in Umgebungen mit einer vielen verschiedenen Anlagen und einer Vielzahl von verteilten Systemen. Diese Art von Kommunikationsstruktur bietet Flexibilität für die Erweiterung und Integration neuer Anwendungen, Geräte, Dienste, Kommunikationsmethoden und Protokolle. Gleichzeitig werden Datenstromfunktionen sowie ereignisgesteuerte und serviceorientierte Architekturen ermöglicht, die für die Fertigungsautomatisierung und -analyse erforderlich sind.

Sobald ein Enterprise Resource Planning System (ERP) und ein Manufacturing Execution System (MES) vorhanden sind, ist der nächste logische Schritt die Festlegung und Implementierung der Technologie zur Unterstützung der verteilten Kommunikationsebene. Diese erleichtert die Verbindung zwischen bestehenden und künftigen IT-Systemen und Geräten in der Fertigungsautomatisierung, so dass Informationen reibungslos zwischen den Komponenten ausgetauscht werden können.

Was ist ein Digital Backbone?

Ein Digital Backbone oder digitales Grundgerüst ist eine sorgfältig konzipierte, verteilte Kommunikationsebene, welche die für die Unterstützung der kurz- und langfristigen Skalierbarkeit erforderliche Infrastruktur bereitstellt. Zu Beginn der digitalen Transformation ist eine kurzfristige Lösung möglich: eine Art Peer-to-Peer-Integration zwischen jeder neuen Anwendung und allen bereits installierten Anwendungen, mit denen sie integriert werden muss. Dies wird jedoch schnell unübersichtlich, da jedes Mal, wenn eine neue Anwendung integriert wird, alle alten Anwendungen ebenfalls aktualisiert werden müssen, um sich mit der neuen Anwendung zu verbinden.

Industrie 4.0 Digital Backbone

Anstelle einer direkten Integration kann eine serviceorientierte Architektur (SOA) von Anwendungen genutzt werden, um Dienste bereitzustellen, die den spezifischen Geschäftsanforderungen entsprechen. Diese Dienste können für allgemeine Zwecke oder so spezifisch wie nötig sein. Die Anwendungen, die die Dienste nutzen, müssen nichts über die innere Funktionsweise des Dienstes wissen. Es ist nur erforderlich, dass sich der Server und die Client-Anwendungen auf die Schnittstellendefinitionen der Dienste einigen. Dafür stellt die verteilte Kommunikationsebene die Mittel bereit, mit denen Server und Clients miteinander kommunizieren.

Vorteile

Wartungssymbol

Server können aufgerüstet und neue Dienste hinzugefügt werden, ohne dass Änderungen an den Clients erforderlich sind.

Sprechblasensymbol

Durch die sorgfältige Gestaltung zustandsloser Server kann jeder Client zu jeder Zeit eine Dienstanforderung über die Kommunikationsebene stellen und immer eine einheitliche Antwort erhalten.

Sicherheitssymbol

Serverinstanzen können nach Bedarf hinzugefügt werden, um zusätzliche Ladefähigkeit oder Redundanz für mehr Stabilität zu bieten.

Einige Anwendungen verfügen über eine eigene Kommunikationsunterstützung. Anwendungen, bei denen dies nicht der Fall ist (Legacy-Anwendungen), können so angepasst werden, dass sie über die Kommunikationsebene interagieren können, indem Gateway- oder Adapteranwendungen zur Bereitstellung der Kommunikationsdienste verwendet werden.

Industrie 4.0 Digital Backbone

Digitale Backbone-Fähigkeiten

Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei dem digitalen Backbone um eine sorgfältig konzipierte, verteilte Kommunikationsebene, die die erforderliche Infrastruktur für kurz- und langfristige Skalierbarkeit unterstützt. Diese Ebene ermöglicht viele Kommunikationswege, da der Output eines oder mehrerer Systeme oder Geräte zwangsläufig zum Input anderer Systeme und/oder Geräte wird.

Die Kommunikationsebene bietet eine zuverlässige und skalierbare Grundlage für andere Strategien der digitalen Transformation, wie z.B.:

Smartes WIP-Management

Betrachten wir einen Kundenauftrag, der über das ERP-System eingeht und als auszuführender Produktionsauftrag an das MES gesendet wird. Das MES ist im Anschluss dafür verantwortlich, die Ausführung der entsprechenden Prozesse und Prozessschritte sicherzustellen und gleichzeitig Daten über den Herstellungsprozess des Produkts zu sammeln, zu speichern und aufzubereiten. Um diese Aufgaben effizient ausführen zu können, sind Informationen über den Zustand der für die Verarbeitung erforderlichen Anlagen nur ein entscheidendes Element, das über die verteilte Kommunikationsebene bereitgestellt werden kann. Wenn die Kommunikation der Anlage aktiviert und mit der verteilten Kommunikationsebene verbunden ist, kann das MES folgende Informationen erhalten:

  • welche Anlagen für die Verarbeitung von Werkstoffen zur Verfügung stehen (und zu diesem Zeitpunkt keinen Werkstoff verarbeiten)
  • welche Anlage gerade Werkstoffe verarbeitet
  • welche Anlagen sich unter technischer Kontrolle für Tests, Experimente oder andere Aktivitäten befinden
  • welche Anlagen für eine vorausschauende Wartung (PM) vorgesehen sind und als Ergebnis der Maßnahme keine Werkstoffe verarbeiten können (oder dürfen)
  • welche Anlagen aufgrund eines ungeplanten und/oder unvorhergesehenen Ereignisses nicht in der Lage sind, Werkstoffe zu verarbeiten
  • und welche Anlagen aufgrund eines externen Ereignisses (z.B. Anlagenstillstand oder standortweiter Stromausfall) keinen Werkstoff verarbeiten können.

Die gewonnenen Informationen können dann zur weiteren Automatisierung von WIP-Management verwendet werden. Mit Lösungen wie Event-Driven Dispatching, kann dann sichergestellt werden, dass die Bediener an den Anlagen jederzeit Zugang zu Informationen haben wie bspw. dass der richtige Werkstoff an der richtigen Anlage verarbeitet wird.

Live-Berichterstattung

Die meisten modernen Fabriken verlassen sich immer noch auf periodische Berichte, die eine Momentaufnahme des Produktionszustands für einen bestimmten Zeitraum liefern. Diese Berichte liefern zwar wertvolle Informationen über die Leistungskennzahlen, stehen aber erst zur Verfügung, nachdem der Zeitraum abgelaufen ist, in dem eine nutzbringende Änderung hätte vorgenommen werden können. Die Kommunikation zwischen IT-Systemen und Anlagen über eine verteilte Kommunikationsebene bietet Echtzeitberichte über Leistungskennzahlen wie Gesamtanlageneffektivität (OEE), Anlagenauslastung und Kapazität, Chargenzykluszeiten, Durchsatz, Ertrag und WIP-Status. Darüber hinaus ermöglichen die Echtzeitdaten:

  • Drill-Down-Funktionen zum Isolieren und Anzeigen von Informationen über einzelne Ereignisse
  • Ursachenforschung
  • dynamische Erkennung von Engpässen
  • und für Halbleiterhersteller: automatische Erkennung und Klassifizierung von Defekten wie Kratzern, Ringen, Flecken und Wolken auf Wafern.

Automatisierte Einrichtung von Anlagen

Bei der Einrichtung von Anlagen zur Materialverarbeitung müssen die Bediener nicht nur das genaue Produkt kennen, das hergestellt wird, sondern auch alle speziellen Anlagenrezepte und Parameter, die benötigt werden. In einer dynamischen Produktionsumgebung mit hohem Fertigungsmix kann es für die Bediener schwierig sein, die Einrichtung der Anlagen manuell zu verwalten. Deshalb ist ein Zugang zu einem System sinnvoll, das ihnen hilft, all diese Informationen zur Anlageneinrichtung zu verwalten. Idealerweise kann dieses System über die verteilte Kommunikationsebene mit den Anlagen integriert werden, wodurch der Einrichtungsprozess vollständig automatisiert, Zeit gespart und die Fehleranfälligkeit verringert wird.

Das automatisierte Einrichten von Anlagen ist die Grundlage für fortschrittliche Prozesssteuerungsfunktionen (APC) wie Fehlererkennung und Klassifizierung (FDC) oder adaptive Prozesssteuerung (Run-to-Run). Mit einem digitalen Backbone verfügt eine Fabrik über die notwendige Infrastruktur, um Anlagen mit den für APC-Funktionen erforderlichen Systemen zu integrieren.

Smarte Kommunikation für die Fertigungs-IT

Es gibt zahllose Szenarien in Fertigungsumgebungen, in denen das Kommunikations- und Datenvolumen drastisch ansteigt und gleichzeitig die Integration neuer Anwendungen, Sensoren und Softwarekomponenten zur Optimierung der Produktion erforderlich ist. Ein durchdacht konzipiertes und implementiertes digitales Backbone bietet das Grundgerüst, um diese Komplexität langfristig zu bewältigen und die Kommunikation zwischen den vielen Systemen, Geräten, Anlagen und Sensoren zu ermöglichen.